„Wenn der Wind nur von einer Seite bläst, wird der Baum krumm“ (Schröder, Brendel)
Probleme beim Lernen werden häufig dadurch ausgelöst, dass wir nicht gehirn-gerecht vorgehen (z.B. durch das Pauken von Vokabeln). Die Aktivierung der Neuromechanismen allerdings entspricht der natürlichen Arbeitsweise des Gehirns. Lerntechniken, die Neuromechanismen unterstützen, sind gehirn-gerecht.
Deshalb ist es sinnvoll, Neuromechanismen zu kennen und diese auch bewusst zu nutzen. Die wichtigsten Neuromechanismen haben Schröder und Brendel in „Lernen zu lernen – die Lust am Lernen entdecken“ zusammengefasst:
- DAS VERGLEICHEN: Jeder Wahrnehmungsprozess ist ein Vergleich (Bekannt vs. unbekannt; kenne ich ähnliches?)
- ASSOZIATIVES DENKEN: Was denken Sie wenn…? Wir können nur assoziativ denken!
- ABSTRAKTION: Regeln werden automatisch abgeleitet, Dinge werden intuitiv in Zusammenhang gebracht und Bezüge hergestellt
- FEEDBACK: Notwendigkeit für sofortiges Feedback/sofortige Rückmeldung
- SOMATISCHER MARKER: Das beim Lernen erzeugte Gefühl wird mit dem Wissen verbunden. Wir nehmen eine Körperempfindung zum Beispiel als intuitives Start- oder Stoppsignal bezüglich einer bestimmten Entscheidung wahr (deshalb lernen Sie mit Filmen leichter – siehe MOVIE© Sprachkurse von brain-friendly)
- OFFENE FRAGEN: Was halten Sie von…? Offene Fragen öffnen den Geist
- AHA-ERLEBNIS: Lernerfolge und Aha-Erlebnisse entstehen aus vorhandenen Verbindungen (dockt an Bekanntes) und fördert die Motivation weiterzumachen (Wussten Sie zum Beispiel, dass der Titel der Beatles, „Let it be“ nicht „lass es sein“, sondern „lass es zu“ bedeutet?)
- UNBEWUSSTES: Passives Lernen und verschiedene Reize einsetzen, um unbewusst Mechanismen zu nutzen – zum Beispiel durch Passives Hören zur perfekten Aussprache gelangen! Und das ohne Zeitaufwand.
- ANGST VOR NEUEM: Neulernen erzeugt zunächst Unruhe sowie Angst und schafft Irritation. Fangen Sie damit an, täglich eine Sache anderes als sonst zu machen, nehmen Sie beispielsweise einen anderen Weg, lassen Sie den Nachbarn zuerst grüßen, lächeln Sie einer unbekannten Person freundlich zu, probieren Sie andere Kochrezepte und Sportarten aus, usw.
Im heutigen Artikel gehe ich auf zwei Neuromechanismen genauer ein, deren Aktivierung das Lernen sowie das kreative Denken unterstützen und zur Hochblüte bringen können: Assoziatives Denken und das Abstrahieren.
Assoziatives Denken:
Wenn Sie gefragt werden „Was fällt Ihnen zur Fußball-WM ein?“, dann ist das, was Sie darauf sagen/denken eine Assoziation. Assoziatives Danken ist sehr grundlegend. Jeder Mensch entwickelt ständig Assoziationen zu dem, was wir sagen oder schreiben und „hängt“ Neues an „alte“ Eindrücke und vorhandenes Wissen an. Das ist ein mächtiger Neuromechanismus. Trotzdem findet assoziatives Denken im Schulunterricht kaum statt. Meist gilt nur der Gedanke des Lehrenden, nicht die Assoziationen der SchülerInnen. Deshalb haben wir das assoziative Denken leider verlernt. SchülerInnen dürfen im Unterricht zum Beispiel nicht miteinander reden. Dabei wäre das „Besprechen“ neuer Themen von großem Vorteil. Dadurch lernen SchülerInnen die Assoziationen der anderen kennen, woraus wiederum eigene abgeleitet werden.
Was unterstützt assoziatives Denken?
Diskussionen, wie es im alten Griechenland Gang und Gebe war, regen assoziatives Denken besonders an. Vera F. Birkenbihl hat zahlreiche Spiele vorgeschlagen, die das assoziative Denken zusätzlich unterstützen und welche trotz wenig Aufwand enorm viel bringen.
Ich stelle Ihnen heute zwei vor, mit denen ich mich seit längerem beschäftige: ABC-Listen und KaWas (Bedeutung siehe unten). Durch diese einfachen Spiele erlernen Sie das assoziative Denken wieder – sie machen Sie klüger und Ihnen gelingt das „Anzapfen“ von Wissen in Ihrem Unterbewusstsein.
Führen Sie die Spiele etwa 90 Sekunden durch – alleine oder in der Gruppe.
- SPIEL 1: ABC-Listen.
Mit ABC-Listen sammeln Sie mehr Assoziationen zu einem Thema als bei herkömmlichem Brainstorming! So funktioniert’s: Schreiben Sie das Alphabet senkrecht auf ein Blatt Papier. Nun wandern Sie mit Ihren Augen am ABC rauf und runter und tragen überall dort Wörter oder Phrasen ein, wo Ihnen etwas einfällt. Das Alphabet hilft Ihnen beim Ideengenerieren, da wir Informationen und Wörter in unserem Gehirn mit dem Anfangsbuchstaben „aufhängen“. Versuchen Sie es einmal und Sie werden überrascht sein, wie viel Sie wissen! - SPIEL 2: KaWas
KaWas profitieren, wie ABC-Listen auch, vom Alphabet als Stimulus und sammeln Ideen durch grafische „Wortbilder“. KaWa steht für
K reativ
A nalografitti
W ort
A ssoziativ
So funktioniert’s: Schreiben Sie ein Wort auf ein Blatt Papier, zu dem Sie Assoziationen sammeln möchten, wie z.B. LERNEN oder GLÜCKLICH. Nun schreiben Sie zu jedem Buchstaben des Wortes eine oder mehrere Assoziationen auf. Es geht also darum, zu einem vorgegebenen oder frei gewählten Wort frei zu assoziieren und dabei kreativ zu sein. Alles – auch Zeichnungen sind dabei erlaubt!
Abstrahieren:
Fußball: Kennen Sie einen Jungen oder ein Mädchen das Fußballfan ist? Fragen Sie das Kind einmal nach dem Regelbucht. Was passiert? Wenn der Papa ein Schiedsrichter ist, kennen sie möglicherweise die Regeln, doch normalerweise kennen sie die Richtlinien, obwohl diese niemals „gepaukt“ wurden. Wie ist das möglich?
Unser Gehirn versucht automatisch Regeln zu abstrahieren – von Regeln beim Fußballspielen bis hin zu Grammatikregeln einer fremden Sprache. Leider beginnt das Schulsystem viel zu oft mit Regeln, wie etwa im Sprachunterricht, anstatt uns selbst die Entdeckung machen zu lassen. „Füttert“ man uns mit Regeln, ist kein eigenes Entdecken mehr möglich. Beiläufiges Lernen, das viel einfacher und nachhaltiger wäre, ist somit unmöglich.
Normen der Gesellschaft werden meist automatisch abstrahiert, ohne dass es uns jemand auswendig lernen lässt. Auch die Grammatikregeln der Muttersprache hat man zuerst richtig angewandt, bevor man sie in der Schule mühsam pauken musste. Das Abstrahieren von Regeln geschieht vollautomatisch und unbewusst – und macht deshalb Spaß!
Lernen lassen ist ein neuer Denkansatz – für Sie privat wie auch für unser Bildungssystem. „Nebenbei lernen“ ist viel gehirn-gerechter und dauerhaft. Täglich tun Sie das schon: Sie kennen das Nahrungsmittelgeschäft nebenan wie Ihre Westentasche, Sie haben Ihre Muttersprache kinderleicht erlernt etc.
Besonders am Anfang des Lernprozesses muss das Lernen incidental (= automatisch, zufällig) geschehen. Dadurch werden fundamentale Nervenbahnen angelegt und der Wunsch nach MEHR entsteht. Ab dann kann intentionales (=vorgesetzt, bewusst) Lernen und Lehren (z.B. zusätzliche Grammatikregeln erklären) stattfinden.
Nutzen Sie die Neuromechanismen bewusst – Sie werden schnell merken, wie einfach das Lernen und Merken sein kann!
Literaturempfehlung:
Bedienungsanleitung für das menschliche Gehirn, Gerald Hüther, 2010
MOVIE© Sprachkurse von brain-friendly nach der Birkenbihl-Methode
[…] Diese Kinder lernen vor allem unbewusst. So wie sie das gehen erlernen, lernen sie neue Sprachen. Das Gehirn kann einen sehr großen Teil unserer Erfahrungen dazu verwenden, unbewusst zu lernen. Deshalb kann 90% unseres Lernaufwands unterbewusst geschehen (nach dem Eisberg-Modell von Freud). Vera F. Birkenbihl nannte die unbewussten, natürlichen Abläufe im Gehirn ‚Neuromechanismen’. Nutzt man diese Fähigkeiten des Gehirns, tut man sich beim Lernen um ein Vielfaches leichter. Mehr dazu hier. […]