23/06/2015

0 Kommentare

„So heißt das in meiner Sprache!“ Wenn Kinder von Kindern lernen.

Von Katharina Leitner

23/06/2015


Interview mit dem mehrsprachigen Kindergarten der AVL LIST GmbH in Graz:

ROLAND SOMMER – Director of Public Affairs AVL LIST GMBH, Graz
MICHAELA LEITNER – Leitung AVL Kinderkrippe / AVL Kindergarten, AVL LIST GMBH, Graz
JANE SEMLITSCH – Native Speaker AVL Kinderkrippe /AVL Kindergarten, AVL LIST GMBH, Graz

Eine Fremdsprache lernt man am besten in der Umgebung von MuttersprachlerInnen[1], so erlernt man von Beginn an die perfekte Aussprache. Das funktioniert nicht nur in einer Lehrer-Schüler-Kombination, sondern auch dann, wenn beide im gleichen Alter sind. Das bestätigen Erfahrungen der Pädagoginnen des mehrsprachigen Betriebs-Kindergartens der AVL LIST GmbH in Graz.

Mehrsprachigkeit im Kindergarten

Der bilinguale Kindergarten (Deutsch/Englisch) mit Kinderkrippe eröffnete 2013 und ist seither ein riesen Erfolg. Im Sommer 2015 wird er sogar um eine Gruppe erweitert. 1-6-Jährige aus 17 verschiedenen Nationen lernen hier ganz nebenbei Englisch und Deutsch.

„Es ist kein Unterricht, sondern die Kinder erleben den Alltag ganz einfach und natürlich in Deutsch und Englisch. Es gibt English Native Speaker, die nur Englisch mit den Kindern sprechen. Andere sprechen nur Deutsch mit ihnen“, erklärt Kindergartenleiterin Michaela Leitner. „Ziel ist es ’ein Ohr’ für die Sprachen zu bekommen – und demnach auch für andere Kulturen“.

Jeden morgen gibt es eine ‚Story Time’ mit der Native Speakerin aus Australien, Jane Semlitsch. Kinder lieben ihre Geschichten, die sie täglich auf die bereits vorhandenen Englischkenntnisse der Kleinen aufbaut. Die Kinder fangen oft an unaufgefordert zu übersetzen. „Ich glaube sie tun das, um sich selbst zu testen“, sagt Jane.

Ältere Kinder übersetzen auch oft für kleinere, wenn diese etwas nicht verstehen. „Es ist schön zu sehen, wie stolz die Kinder darauf sind, was sie können“, so Jane. Die Kinder lernen im Kindergarten zwar andere Sprachen – Englisch und eventuell auch Deutsch als 2. Fremdsprache – aber sie wissen ganz genau welche Sprache ihre Muttersprache ist und sie verstehen, dass nicht alle Kinder alle Sprachen verstehen. „Der Betriebskindergarten ist zwar auf Englisch und Deutsch aufgebaut, aber die Kinder sind sich über ihre eigene Muttersprache bewusst. Diese sprechen sie auch im Kindergarten – und sie dürfen!“, sagt Michaela Leitner, Leiterin des Kindergartens.

Manchmal necken sich die Kinder damit sogar untereinander:

„Mit dem Stefan sprech ich Kroatisch, aber dann verstehst du mich nicht, Michaela. Selbst schuld.“
Oder:
Andreas: „Schneeball heißt bena auf Kroatisch.“
Michaela: „Wirklich Stefan?“
Stefan: „Nein, das war ein böses Wort.“

Intuitives Lernen von der besten Freundin

KinderlernenvonKindernDarauf erzählt die Leiterin im Interview von einer beinahe unglaublichen Geschichte: Sie hat erst vor wenigen Tagen erfahren, dass Alexandra, ein deutschsprachiges Kind, Chinesisch spricht! Eine Chinesisch-Dolmetscherin war im Kindergarten zu Besuch. Sie hat den Kindern etwas auf Chinesisch gesagt und Alexandra hat darauf auf Chinesisch geantwortet. Anscheinend hat Cindy, ihre chinesische Freundin, Alexandra ein paar Phrasen beigebracht. Die Dolmetscherin hat sogar gedacht, Alexandra ist Halb-Chinesin, weil sie mit perfekter Aussprache gesprochen hat.

Das ist, wie ich finde, wirklich ein unglaubliches Ereignis. Kinder lernen also die außergewöhnlichsten Dinge von anderen Kindern. Oft merken wir Erwachsenen das gar nicht.

Diese Kinder lernen vor allem unbewusst. So wie sie das gehen erlernen, lernen sie neue Sprachen. Das Gehirn kann einen sehr großen Teil unserer Erfahrungen dazu verwenden, unbewusst zu lernen. Deshalb kann 90% unseres Lernaufwands unterbewusst geschehen (nach dem Eisberg-Modell von Freud). Vera F. Birkenbihl nannte die unbewussten, natürlichen Abläufe im Gehirn ‚Neuromechanismen’. Nutzt man diese Fähigkeiten des Gehirns, tut man sich beim Lernen um ein Vielfaches leichter. Mehr dazu hier.

Ein Kind nutzt diese Neuromechanismen automatisch, denn das Schulsystem hat ihnen noch nicht das „Lernen nach Regeln“ aufgehalst. Wenn Sie erfahren möchten, wie auch sie als Erwachsene(r) intuitiv lernen können, klicken Sie hier.

Offenheit fördert Neugier und den Lernprozess

InternationalerKindergartenDie Kinder im AVL-Kindergarten haben einen weiteren Vorteil: Sie sind sehr offen und tolerant gegenüber anderen Sprachen und Kulturen, weil sie die Interkulturalität von Klein auf kannten. Sie sind auch neugierig auf andere Sprachen. Michaela Leitner und ihr Team erleben oft Situationen wie diese: „Uno, due, tre…. (das sind die Zahlen auf Italienisch). Sag du es mir auf Kroatisch.“

Der mehrsprachige Kindergarten schafft einen ganz anderen Kontext, als es etwa beim Sprachunterricht in der Schule ist: Die Kinder wollen lernen. Sie sind motiviert, lernen mit und von Gleichaltrigen.

Eine Sprache im Umfeld von Muttersprachlern zu lernen, kann deutliche Vorteile haben, sagt Kristin Kersten, Juniorprofessorin für Fremdsprachenunterricht und Zweitspracherwerb an der Universität Hildesheim. Ein Muttersprachler hat neben korrekter Aussprache noch etwas anderes zu bieten: „Er vermittelt eine kulturelle Authentizität.“ Was im Lehrbuch vielleicht konstruiert und abstrakt erscheint, wirkt im Austausch mit dem Muttersprachler lebendig.

Schulsystem: Eigene Klasse für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen?

Gerade wegen der positiven Auswirkung des Austauschs zwischen fremdsprachigen Kindern halten Roland Sommer, Director of Public Affairs, und die beiden Pädagoginnen nichts von einer derzeit debattierten Klasseneinteilung in Deutschsprachige und Nicht-Deutschsprachige. Jane: „Extrastunden um das Deutsch aufzubessern ist eine Idee. Aber eine extra Klasse finde ich nicht gut, denn so werden die ‚Ausländer-Kinder’ abgekapselt“. Michaela fügt hinzu: „Durch ein solches System fördert man das, was ÖsterreicherInnen an Anderssprachigen immer bekritteln, nämlich dass sie unter sich bleiben. Durch die Aufteilung bekommen sie vermittelt ‚wir sind anders’. Jane: „Das gilt auch umgekehrt für die deutschsprachigen Kinder. In einer gemischten Klasse lernen sie von Beginn an, dass alle Menschen gleich sind. Manche mögen zwar anders sprechen, doch wir werden alle gleich behandelt.“

Zum Abschluss ein Satz für alle SprachenlernerInnen:

Grammatik und Vokabeln pauken werden Sie niemals zum perfekten Sprechen einer Fremdsprache führen!

Interview am 7. Mai 2015 in Graz mit:

ROLAND SOMMER – Director of Public Affairs AVL LIST GMBH, Graz
MICHAELA LEITNER – Leitung AVL Kinderkrippe / AVL Kindergarten, AVL LIST GMBH, Graz
JANE SEMLITSCH – Native Speaker AVL Kinderkrippe /AVL Kindergarten, AVL LIST GMBH, Graz

[1] George Braine, Ed. (1999). Non-native Educators in English Language Teaching. Routledge, 2013.

Photo by National Cancer Institute on Unsplash

Katharina Leitner

Über die Autorin / den Autor

Content Managerin und Bloggerin Katharina Leitner beschäftigt sich seit 2011 intensiv mit der Birkenbihl-Methode sowie den Kreativtechniken und Denktools von Vera F. Birkenbihl.

Seit 2014 arbeitet sie als selbstständige Online & Performance Marketerin: www.rucker-marketing.at

Weitere Artikel

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}
>