In jungen Jahren eignen wir uns eine Sprache mit Leichtigkeit an. Wie gut geht das noch mit 50 oder 70? Kann man sich all die neuen Wörter merken? Neue Grammatikstrukturen lernen? Je älter wir werden, desto schwieriger scheint uns das Lernen zu fallen. Doch Forscher haben herausgefunden, dass wir auch im hohen Alter erstaunlich gut Sprachen lernen können. Doch nur, wenn die Bedingungen stimmen.
Jenny ist 14 und tritt in 4 Monaten ihr Auslandssemester in Frankreich an. Französischunterricht hatte er bisher noch nicht.
Anton ist 56 und wird in ein Örtchen südlich von Paris entsandt – als Arbeiter in einer Papierfabrik.
Beide haben sich für einen Französischkurs entschieden und sitzen nun im selben Unterricht. Hin und wieder schaut Anton neidisch zu Jenny rüber – „die versteht das wirklich schnell!“
Für den Job eine Sprache lernen – vor dieser Herausforderung stehen viele im Laufe ihrer Karriere. Eine Umfrage[1] hat ergeben, dass 1/3 aller Berufstätigen zumindest Grundkenntnisse einer Fremdsprache benötigt, 1/6 sogar Fachkenntnisse. In der Schule tut man sich recht leicht, doch wie sieht es aus, wenn man nach Jahren oder gar Jahrzehnten wieder eine neue Sprache lernen muss?
Jennys Gehirn ist sehr flexibel. Nervenzellen werden Tag für Tag neu verbunden, das Netz wird erweitert, verstärkt und Lücken geschlossen.
Auch Antons Gehirnzellen werden täglich neu verbunden, gestärkt und geformt. Und auch neue Zellen können entstehen.
Bis vor 15 Jahren beharrten viele Wissenschaftler darauf, dass das Gehirn in der Kindheit geformt wird und sich nach der Pubertät nur noch schwach verändert. Eine entscheidende Rolle im Umdenken diesbezüglich spielte die Studie von Macguire (et al.) vom Jahr 2000. Er untersuchte Londoner Taxifahrer und deren graue Zellen. Der Hippocampus (ein Teil des Gehirns, das in der Form mit einem Seepferdchen verglichen werden kann) ist für die räumliche Vorstellung und das räumliche Gedächtnis verantwortlich. Dieses veränderte sich bei den Taxifahrern, wenn sie lange mit dem Auto gefahren waren. Diese Veränderung ist der Beweis dafür, dass unser Gehirn plastisch ist. Es kann wie Plastilin geformt und verändert werden. Dieser Studie folgten weitere, welche diese sogenannte Neuroplastizität erneut bewiesen.
Zehn Jahre später bewies eine Langzeitstudie[2], dass es zwischen Jung (21 bis 30 Jahre) und Alt (65 bis 80 Jahre) „keinerlei signifikante altersbezogene Unterschiede in der Plastizität der Mikrostruktur weißer Substanz“ gibt. Weiße Substanz ist das, was die Zellen verbindet. Also keine Sorge, Anton, es gibt einen Beweis dafür, dass du es auch schaffen kannst! 😉
Für Anton als auch Jenny gibt es jeweils einen entscheidenden Vorteil:
Bei Jenny funktioniert das Verbinden und Formen neuer Zellen etwas schneller. Aus diesem Grund kann er im Französischunterricht leichter folgen.
Anton hingegen braucht etwas länger, jedoch ist sein Netz im Gehirn schon so groß, dass er sich leichter damit tut, neues an vorhandenes Wissen zu hängen. Diese Verbindungen sind meist stärker als die bei Jürgen. Außerdem hat Anton die Erfahrung, die ihm hilft. Er hat das Lernen irgendwann gelernt und weiß nun, mit welchen Strategien er sich am leichtesten tut.
Die Studie von Castel (et al)[3] hat junge vs. ältere Menschen im Merken von Wort-Zahl-Verbindungen getestet. Sie haben herausgefunden, dass sich ältere Menschen eher die schwierigen Kombinationen gemerkt haben, weil sie diese besonders gut gelernt hatten – sie hatten also eine Lernstrategie.
Also liebe Antons dieser Welt: Machen Sie sich ran – es gibt keine Ausreden mehr!
Tipps für Anton – und andere ältere SprachenlernerInnen:
Bevor wir nun auf die Details der Lerntipps eingehen, möchte ich Ihnen eine wahre Geschichte erzählen. Guiseppe Mezzofanti gilt als einer der größten Sprachgenies der Geschichte. Er war italienischer Kardinal und lebte im frühen 19. Jahrhundert. Man sagt, er hat 70 Sprachen fließend gesprochen. Und raten Sie mal: Er soll sein Heimatland nie verlassen haben. Den Überlieferungen zufolge soll er die Sprachen erlernt haben, indem er fremdsprachigen Gläubigen die Beichte abnahm.
Mit Motivation und Konsequenz kann auch Anton rasch und erfolgreich eine Fremdsprache lernen. Moderne Lerntechniken und das Einhalten einiger weniger Tipps helfen ihm dabei.
Anton muss nicht unbedingt ins Ausland reisen um eine Sprache perfekt sprechen zu lernen. Er kann seine Kenntnisse schon vor seiner Reise nach Frankreich schnell und einfach verbessern bzw. aufbauen, denn es gibt sehr gute Möglichkeiten, auch im Heimatland zu lernen.
-
Anton, vergiss die Erinnerungen an die Schule und erleichtere dir den mühevollen Unterricht im Klassenzimmer. Vokabeln pauken verboten!
Vera F. Birkenbihl predigte immerzu das Lernen im Ganzen. Diese Ansicht bestätigte auch Dr. Ludger Schiffler, Professor für Fremdsprachendidaktik an der Freien Universität Berlin: „Sprache muss man immer im Zusammenhang lernen”.
Isolierte Wortpaare zu Pauken bringt nichts, denn so können Sie diese erstens nie korrekt anwenden, und zweitens müssen Sie immerzu von Ihrer Muttersprache in die Fremdsprache übersetzen. So können Sie nicht fließend sprechen lernen!
Die Alternative zum klassischen Vokabelnpauken ist das De-Kodieren. De-Kodieren bedeutet so viel wie entschlüsseln. Schreiben Sie einen kurzen Text in der Fremdsprache auf. Nun versuchen Sie jedes Wort zu de-kodieren = Wort für Wort zu übersetzen. So lernen Sie im Ganzen – im Zusammenhang! Das ist gehirn-gerecht.
Mehr zum De-Kodieren erfahren Sie hier: Die Birkenbihl-Methode zum Sprachenlernen.
-
Der zweite Tipp für Anton lautet: Zuhören!
Wer viel Zuhört ermöglicht dem Gehirn, die benötigten Nervenbahnen anzulegen, die wir zum Sprechen einer Sprache benötigen. Immerhin hört sich jede Sprache anders an und besteht aus anderen Lauten und Sprachmelodien.
Das Prinzip des Zuhörens ist das Fundament der Birkenbihl-Methode zum Sprachenlernen. Die Methode beschreibt das Sprachenlernen in zwei Schritten: Verstehen Lernen & Sprechen Lernen.
Beim Verstehenlernen hören Sie einen Text in der Fremdsprache und lesen gleichzeitig eine Wort-für-Wort-Übersetzung mit. Dadurch erlernen Sie – ohne zu Pauken! – die Bedeutung der Wörter und auch die Grammatik der fremden Sprache.
Beim Sprechenlernen hören Sie – am besten Tag und Nacht – den Text der Fremdsprache nebenbei an. Konzentrieren Sie sich dabei auf andere Dinge, wie Arbeiten, Kochen etc. Dieses „Hintergrundhören“ ermöglicht dem Unterbewusstsein das Lernen. Durch Zuhören erkennt es die perfekte Aussprache und bereitet das Gehirn auf das Sprechen dieser vor.
Mehr zur Birkenbihl-Methode erfahren Sie hier: Birkenbihl-Methode
-
Teil deine Zeit gut ein, lieber Anton. Zeiteinteilung ist alles – und kann dir das aktive Lernen verkürzen!
Leichter hat es nach Schifflers Meinung auch, wer häufiger in kleineren Zeiteinheiten die Sprache übt, denn das Gehirn lernt durch Wiederholung: „Es ist besser, viermal täglich zehn Minuten zu verschiedenen Zeitpunkten zu lernen, als ein Mal 40 Minuten.“
Vera F. Birkenbihl empfiehlt eine Zeiteinteilung in 10-Minuten-Einheiten. Weil das Gehirn nach jeder Aufnahmephase ca. 7 Minuten „weiterlernt”, verdoppeln Sie so Ihre Lernzeit ohne es zu merken.
Mehr dazu erfahren Sie in diesem Artikel: Kurze Lerneinheiten
-
Vom Vorwissen profitieren.
Anton hat in seiner Schulzeit mal Latein gelernt. Das meiste hat er wieder vergessen, doch ein paar Wörter sind hängengeblieben. Von diesen Sprachkenntnissen profitiert Anton jetzt, denn Sprachen miteinander zu vergleichen kann ihm das Lernen zusätzlich erleichtern.
Mehr dazu erfahren Sie hier: Mehrere Sprachen parallel lernen.
Zum Ende bleibt noch eines zu sagen: Unterstützen sich Jenny und Anton beim Französischlernen, geht alles nochmal um ein ganzes Stück einfacher!
[1] Bundesinstitut für Berufsbildung. www.bibb.de
[2] Schwedische Studie: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0028393210003805
[3] Selecting valuable information to remember: Age-related differences and similarities in self-regulated learning. http://psycnet.apa.org/journals/pag/28/1/232/
Photo by leah hetteberg on Unsplash