04/02/2021

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Chancen und Herausforderungen von Distance Learning – eine Englischlehrerin berichtet

Von Katharina Rucker

04/02/2021


Eine Englischlehrerin einer österreichischen Mittelschule spricht über ihre Erfahrungen mit Distance Learning bzw. Homeschooling im Jahr 2020 und 2021. Eines können wir vorwegnehmen: Es ist für alle Beteiligten schwierig – ob Lehrkräfte, Eltern oder Kinder. In diesem Artikel gehen wir auf die Erfahrungen einer Lehrkraft ein und beleuchten die persönlichen Chancen und Herausforderungen für Lehrkräfte und Kinder aus Sicht einer Lehrerin. Bestimmt gäbe es noch eine Reihe anderer Punkte, auf die man bei diesem Thema eingehen könnte, doch das würde diesen Rahmen sprengen. Am Ende des Artikels finden Sie unsere Tipps für mehr Erfolg und Gelassenheit beim Fremdsprachenunterricht zuhause – also unbedingt bis zum Ende lesen!

Überblick der Chancen und Herausforderungen von Distance Learning im Fremdsprachenunterricht


Chancen von Distance Learning bzw. Homeschooling im Fremdsprachenunterricht

  • Eigenständiges Arbeiten wird gefördert
  • Umgang mit digitalen Medien
  • Kein Stress durch Tests/Examen

Herausforderungen von Distance Learning bzw. Homeschooling im Fremdsprachenunterricht

  • Genaues Lesen bzgl. Arbeitsanweisungen
  • Selbstständiges Mitdenken – Grammatik und andere Erklärungen verstehen
  • Kommunizieren und die Interaktion fehlt
  • Das Hören der Fremdsprache kommt zu kurz – falsche Aussprache wird eingelernt
  • Nachvollziehbarkeit/Überprüfung von erledigten Arbeitsaufträgen ist schwierig

Eine Lehrkraft erzählt aus dem Alltag

„Es ist so schwierig, die traditionelle Form des Fremdsprachenunterrichts funktioniert im Homeschooling einfach nicht“, fängt die Englischlehrerin an zu erzählen. Sie unterrichtet seit vielen Jahren an einer Mittelschule in Österreich, wo sie 10- bis 14-Jährigen Englisch und Musik beibringt. Im Moment überwiegen wohl die Herausforderungen. „Immer wieder kommt es mit Eltern zu Diskussionen. Es wird mir vorgeworfen, ich würde Arbeitsanweisungen nicht detailliert genug vorbereiten; ich muss mir das Klagen über die Gesamtsituation überforderter Eltern anhören; zu jeder Tageszeit sollte ich für Kinder wie Eltern abrufbereit sein. Einerseits verstehe ich das, denn viele Eltern gehen ihrem Job nach und beschäftigen sich abends oder wochenends mit den Schulaufgaben der Kinder – da verschmilzt Arbeit mit Freizeit für alle Beteiligten. Doch irgendwann ist es auch genug.“ 

Trotz Aufrüstung, zu wenig Erfahrung im Umgang

Die Schule, an der die Englischlehrerin unterrichtet, war beim ersten Lockdown im Jahr 2020 nicht auf Homeschooling vorbereitet. Lehrkräfte fanden individuell Strategien mit der Situation umzugehen. Doch nun, im 3. Lockdown und nach Monaten von Homeschooling-Erfahrung, ist man sehr gut gewappnet. Es werden Apps und Software zur Kommunikation mit Kindern und Eltern genutzt und die Schule tritt einheitlich auf. Die Grundstruktur stimmt also. Und doch stößt man auf allerlei Hindernisse: „Kinder und Jugendliche sind ja angeblich so technikaffin, doch das kann ich aus meiner Erfahrung nicht behaupten. Schon vor dem Homeschooling durch die COVID-19-Maßnahmen stießen wir im Unterricht auf Herausforderungen, weil SchülerInnen nicht wussten, wie man auf einem Laptop ein Video auf YouTube abspielt.“

Hört hört, dachte ich mir. Da prangert man immer den Lehrkörper an, er sei altmodisch und könne mit der modernen Technik nicht umgehen, dabei liegt es in vielen Fällen auch an den Kindern. „Auch jetzt im Homeschooling gibt es oft Schwierigkeiten, weil SchülerInnen mit den modernen Medien nicht umzugehen wissen. Dabei geht es um einfache Dinge, wie die Installation einer App oder den Umgang damit. Dazu kommt, dass SchülerInnen einfach viel zu ungenau lesen. Dadurch übersehen sie Arbeitsanweisungen, Kommentare von Lehrkräften etc. Die Organisation der Kinder ist ein großes Problem in der jetzigen Situation. Und viele Eltern können nicht helfen.“

Im Gespräch hat mich vor allem eines überrascht: Die Art und Weise, wie Fremdsprachen vermittelt werden, ist ohnehin veraltet und entspricht unserem Zeitgeist nicht mehr. Im Homeschooling kommt man jetzt drauf, dass vor allem der Fremdsprachenunterricht leidet. „Die Lehr- und Lerntechnik passt einfach nicht, ist nicht dafür ausgelegt.“ Doch auf die Idee, dies als Chance zu nutzen und gerade jetzt den traditionellen Unterricht zu hinterfragen, kommt anscheinend niemand. Dem System wird die Schuld zugeschoben.

Eigenständiges Denken? Fehlanzeige.

„Die persönliche Interaktion fehlt sehr. Das gilt für das Lehren der Sprache, aber auch für das Organisatorische drumherum. Einerseits sind es Kinder nicht gewohnt, Arbeitsanweisungen schriftlich zu erhalten. Im Klassenzimmer wird einfach nachgefragt, wenn eine Aufgabe nicht auf den ersten Blick klar ersichtlich ist. Das Nachfragen ist natürlich auch jetzt möglich – schriftlich oder auch mal telefonisch. Mir ist allerdings erst jetzt aufgefallen, wie sehr sich Kinder auf uns verlassen und alles ‚vorgekaut‘ bekommen. Ein selbstständiges Mitdenken und genaues Lesen fehlt den meisten SchülerInnen. Und andererseits kommt die fehlende Interaktion bezüglich des Lernstoffs hinzu. Ein Beispiel: Ich gebe den Kindern die Aufgabe, sich die Grammatikregeln bezüglich des Unterschieds ‚here – there’ durchzulesen. Danach gab es Aufgaben zu lösen – Lückentexte z.B. Die erste Herausforderung lag für einige Kinder darin, die Regeln zu verstehen. Ohne zusätzlicher Erklärung von mir verstanden es viele nicht bzw. hatte ich das Gefühl, die Kinder wären zu faul zum eigenständigen Nachdenken. Zusätzlich bin ich in einem Klassen-Call über unsere Kommunikations-App drauf gekommen, dass etwa die Hälfte der Klasse diese beiden Wörter falsch ausgesprochen haben, z.B. [here] anstatt [hiir].“

Wie die korrekte Aussprache durch Distance Learning untergeht

Im Distance Learning fehlt also die Kommunikation und – speziell im Fremdsprachenunterricht – das Hören der Sprache. Lehrkräfte sprechen Wörter in der Klasse mehrmals korrekt vor und damit lernen die Kinder die korrekte Aussprache. Doch im Homeschooling kommt das Hören der Fremdsprache zu kurz. „Ich gebe zwar Listening Übungen als Aufgabe vor, doch leider kann ich ja nicht überprüfen, ob die Kinder diese auch erfüllen. Das Beispiel here –there zeigt mir, dass die Hörübungen nicht ernst genommen werden. Doch eine andere (nachvollziehbare bzw. kontrollierbare) Aufgabenstellung, um die Fremdsprache zu hören, gibt es momentan nicht.“

Doch es ist nicht alles schwierig und schlecht. Das Distance Learning hat auch gute Seiten. So lernen Kinder in dieser Zeit Verantwortungsbewusstsein, sich selbst und ihre Arbeit zu organisieren, mit unterschiedlichen Medien umzugehen, Zeiteinteilung, vernetztes Denken und vieles mehr. Das sind Dinge, die im traditionellen Unterricht meist zu kurz kommen. „Außerdem fällt der Stress weg, den die SchülerInnen durch die vielen Tests und Schularbeiten sonst haben.“ 


Unsere Tipps für Homeschooling/Distance Learning im Fremdsprachenunterricht – für Lehrkräfte, Eltern und Kinder

1. De-Kodieren der Fremdsprache

Jetzt ist die Zeit, um Neues zu entdecken und zu etablieren. Eine Möglichkeit für den Fremdsprachenunterricht ist das De-Kodieren. Das ist eine Wort-für-Wort-Übersetzung in die Muttersprache und kann hervorragend als eigenverantwortliche Aufgabe gestellt werden, aber auch zum selbstständigen Üben zuhause herangezogen werden. Zusätzlich kann die De-Kodierung auch in Gruppen erstellt, abgeglichen und verglichen werden und trägt so zur Interaktion und zu noch mehr Spaß bei. Durch das De-Kodieren lernen Kinder im Satzzusammenhang, was für das Anwenden der Fremdsprache wesentlich ist. Die Bedeutung der fremdsprachigen Wörter sowie die Anwendung im Satzzusammenhang (Grammatik) wird intuitiv gelernt. Sehr interessante Infos zu dieser Lernmethode finden Sie in diesen weiterführenden Beiträgen: Die beste Grammatikübung zum Sprachenlernen. Einfach Sprachenlernen mit De-Kodierung nach Vera F. Birkenbihl. 

2. Aktiv und Passiv hören

Das Hören der Fremdsprache muss im Fremdsprachenunterricht mehr Bedeutung erhalten. Regeln für die Aussprache und Lautschriften sind Hilfstools, die für LehrerInnen und TrainerInnen geschaffen wurden. Viel einfacher und zielführender ist es, ganz einfach die Ohren zu spitzen: Zuhören ist der wichtigste Schritt, um eine Fremdsprache gut und akzentfrei sprechen zu können:

1. Zuhören und verstehen
2. Mitlesen (leise und laut)
3. Selbst sprechen

Haben Sie sich schon einmal länger im Ausland aufgehalten? Wenn ja wissen Sie, wie leicht es fällt, in eine Fremdsprache einzutauchen, wenn man sie ständig hört. Sie entwickeln ein Gefühl für die Sprache, der Klang und die Melodie werden bekannt. Das liegt daran, dass das Gehirn ständig zuhört und das Gehörte verarbeitet. Es werden Nervenbahnen angelegt, die für das Sprechen der neuen Sprache benötigt werden. 

Beim aktiv Hören geht es auch um eine aktive Übung: Fremdsprache hören und Muttersprache mitlesen. Wir nennen diese Übung auch Karaoke-Übung, weil sie dem Karaoke-Singen nahe kommt.

Beim passiven Hören spielen Sie Audioaufnahmen der Fremdsprache – am besten permanent – im Hintergrund ab. Gehen Sie beim Hintergrundhören irgendeiner Routinebeschäftigung nach. Während des passiven Hörens werden die Worte und der Klang langsam vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übernommen und Sie entwickeln ein gutes Sprachgefühl für die neue Sprache. Für das passive Hören benötigen Sie keine zusätzliche Lernzeit, es geht nebenbei und ist wirklich einfach. Mehr dazu erfahren Sie hier.

3. Grammatikregeln adé

Muss Grammatik wirklich sein? Als Kinder konnten wir unsere Muttersprache sehr gut sprechen, auch ohne Grammatikunterricht. Wieso also unsere Kinder damit quälen? Das menschliche Gehirn ist sehr gut darauf ausgelegt, Regelhaftigkeiten selbst zu entdecken. Lernen wir die Fremdsprache in ganzen Sätzen und mit De-Kodierungen, öffnen wir unserem Gehirn die Sicht auf die Grammatik der Sprache und es wird (bei vielen Wiederholungen) die Regeln automatisch verstehen – ganz ohne Beschreibung der Regel. Zu verdanken haben wir das den Neuromechanismen unseres Gehirns. Mehr dazu finden Sie hier. 

Katharina Rucker

Über die Autorin / den Autor

Katharina Rucker ist Content Managerin und Bloggerin und beschäftigt sich seit 2011 intensiv mit der Birkenbihl-Methode sowie den Kreativtechniken und Denktools von Vera F. Birkenbihl. Ihre Begeisterung für Bildung und Sprachen wurde wohl durch das Lehrer-Elternhaus geprägt und später durch ein internationales Studium und Auslandsaufenthalte verstärkt. Die Birkenbihl-Methode begeisterte sie sofort – auf eine lockere Art und Weise Sprachenlernen, ganz anders, als im Unterricht. Diese Methode sollte jeder kennen.

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