Kinder lernen mit allen Sinnen. Sie entdecken, probieren und testen aus. In den verschiedenen Entwicklungsphasen leisten sie Unglaubliches. Vor allem Kleinkinder werden als absolute Lernwunder angesehen. Nie wieder kann ein Mensch in seinem Leben so viel und so schnell lernen. Oder doch?
Lernen ist ein vielschichtiger und komplizierter Prozess, der lebenslang anhält. Vorhandenes Wissen und Erfahrungen werden in jeder Sekunde mit neuen Erkenntnissen und Erlebnissen verbunden und miteinander verglichen. So wächst das Grundwissen.
Altes mit Neuem verknüpfen
Beispiel: Radfahren
- Das Kind muss sich und das Rad im Gleichgewicht halten. Den Gleichgewichtssinn dafür hat es bereits erlangt. Die motorische Entwicklung geht nun einen Schritt weiter.
- Das Rad soll gelenkt werden, um Hindernissen auszuweichen. Die optischen Eindrücke und die visuelle Wahrnehmung werden dabei mit dem Körperempfinden und den Erfahrungen mit der Schwerkraft verbunden.
- Das Kind muss auch auf akustische Reize hören, um Fahrzeuge oder Rufe der Eltern zu registrieren.
All diese Reize kann das Gehirn für eine neue Fähigkeit, dem Radfahren, zusammenfügen. Je öfter das Kind Rad fährt, desto besser können die verschiedenen Fähigkeiten und Informationen zusammengefügt und gleichzeitig angewendet werden. Bei jeder Wiederholung werden die Verbindungen gestärkt. Irgendwann wird das Radfahren zur Selbstverständlichkeit.
Das Gehirn besteht aus vielen Millionen Gehirnzellen – „Neuronen“ -, die miteinander verschaltet sind. Dies kann man sich so vorstellen, dass von einer Zelle viele Verbindungen zu anderen Zellen in der Umgebung bestehen. Wenn ein Kind zur Welt kommt, gibt es im Gehirn noch sehr wenige Verbindungen, jedoch unzählige Nervenzellen. Bei jeder neuen Erfahrung versucht das Kind, in seinem Gehirn ein bereits vorhandenes Muster zu aktivieren. Das neue Erlebnis wird also mit dem Vorhandenen verglichen. Beim Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken werden Erkenntnisse ausgewertet und miteinander verknüpft. Gibt es keine Gemeinsamkeiten, passiert gar nichts (Das ist auch der Grund, warum wir uns isolierte, aus dem Zusammenhang gerissene Vokabeln so schwer merken). Wenn aber die neue Wahrnehmung teilweise zu einem im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerungsbild passt, wird das alte Bild so lange vervollständigt, bis ein erweitertes inneres Bild entstanden ist. Übrigens: Je mehr Sinne beim Lernen beteiligt sind, desto besser prägen wir uns die neue Erkenntnis ein.
Am Ende bleiben nur jene Verbindungen erhalten, die wirklich genutzt werden. Deshalb lernen Kleinkinder scheinbar so viel. Denn jene Fähigkeiten, die am Beginn unseres Lebens erworben werden, nutzen wir in der Regel täglich und ständig.
Das Gehirn lernt also durch Verbindungen. Nervenzellen, Erfahrungen und Wissen werden in einem riesigen Wissensnetz vereint. Vorhandenes wird so mit Neuem verbunden. Je öfter eine Verbindung abgerufen wird, desto einfacher fällt es uns, das betroffene Wissen bzw. die Fähigkeiten abzurufen. Diese neurologische Automatik ist nicht nur für Kinder praktisch, sondern ist auch die Basis für den Lernprozess von Erwachsenen.
Entdecker lernen besser
Je mehr Eindrücke ein Kind sammelt, desto mehr Spannung entsteht im Gehirn. Es werden Botenstoffe freigesetzt, die Lustgefühle erzeugen. Das Kind ist motiviert und verspürt den Drang, weiter zu forschen. Je lustvoller ein Kind lernt, desto größer ist die Motivation auf mehr. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Kinder mit Freude lernen und Neues selbst entdecken (dürfen). So bleibt die Lust am Lernen erhalten.
Dasselbe gilt auch für Erwachsene: Sie haben es bestimmt schon selbst erlebt. Wenn Sie etwas selbst erforschen und entdecken, merken Sie es sich leichter und besser. Meistens für immer. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass Lernen ein möglichst aktiver Prozess sein muss. Nur das eigene Tun und Entdecken führt zu den neurobiologischen Zuständen wie Glück, Erfolgsgefühl, Neugier und Lust, die für ein erfolgreiches Lernen notwendig sind. Nutzen Sie diese Erkenntnis auch zum Lernen!
Tipps:
Geben Sie sich selbst die Möglichkeit, Neues selbst zu entdecken und zu erforschen. Müssen Sie sich Mathematik-Formeln merken, hilft es beispielsweise, die Formel selbst herzuleiten. Dadurch verstehen Sie den Hintergrund und eine banale Formel (die ansonsten auswendig gelernt werden müsste) macht plötzlich Sinn.
Ein anderes Beispiel ist das Sprachenlernen. Viel zu oft bekommen wir Vokabeln und Grammatikregeln im Fremdsprachenunterricht und in Sprachkursen „vorgekaut“. Unser Vorschlag: Entdecken Sie die Sprache selbst. Das gelingt kinderleicht mit der Birkenbihl-Methode. Das Fundament dieser gehirn-gerechten Sprachlernmethode ist die De-Kodierung. Das ist eine Wort-für-Wort-Übersetzung eines fremdsprachigen Textes in die Muttersprache. Indem Sie einen Text Wort für Wort übersetzen, entdecken Sie die Wortbedeutungen, den Aufbau der Fremdsprache und die Anwendung im Alltag. Das Gehirn vergleicht die Fremdsprache mit der Muttersprache und erkennt Regelhaftigkeiten automatisch. Sie erforschen die Fremdsprache mithilfe Ihrer eigenen Muttersprache. Das macht Spaß, ist gehirn-gerecht und macht Lust auf mehr.
Babys und Kleinkinder lernen praktisch nach dem „Trial and Error“ Prinzip. Sie probieren aus und haben Erfolg oder scheitern. Dadurch erfahren sie immer mehr, wie die Umwelt und sie selbst funktionieren. Sie entwickeln neue Fertigkeiten und lernen die eigenen Fähigkeiten und Grenzen kennen. Dieses Lernprinzip verlernen wir leider, meist wegen dem traditionellen Schulsystem, denn hier sind Fehler nicht erlaubt.
Versuch und Irrtum wenden Kinder in allen denkbaren Situationen an: Sei es, wenn sie Mama und Papa dazu überreden wollen, noch mehr Süßigkeiten rauszurücken oder einen Bauklötzchenturm so hoch wie möglich zu errichten. Das Kind probiert und scheitert und probiert weiter, bis es Erfolg hat. Diese Art zu entdecken ist ein wichtiger Teil des Lernprozesses und sollte wieder Einzug in unser Lernverhalten halten. Erlauben Sie sich, Fehler zu machen und auch mal Lücken zu akzeptieren, denn es ist nicht immer wichtig, 100 Prozent korrekt zu liegen. Vielmehr kommt es darauf an, zu verstehen, warum etwas nicht funktioniert. So kann man es beim nächsten Mal besser machen.
Individuelle Lernprozesse unterstützen
Generell sagt man: Kinder sind Genies beim Lernen. Wie gut und schnell ein Kind lernt, hängt jedoch von vielen Faktoren ab und ist individuell unterschiedlich. Neben den Erbanlagen spielt auch die Umgebung und die persönliche Erfahrung eine wichtige Rolle.
Das heißt, dass jedes Kind (wie auch jeder Erwachsene) ein bestimmtes Temperament mitbringt, zum Beispiel sehr neugierig oder ängstlich, langsam oder aufgeweckt ist. Diese Grundstimmungen gilt es zu beachten, denn ein ängstliches Kind ständig mit Neuem zu konfrontieren ist eher kontraproduktiv, ebenso wie das Überbehüten eines neugierigen Kindes zu Frustration führen kann. Genau diese neuronalen Signale im Gehirn führen zur Blockade und verhindern die Ausbildung neuer Verschaltungen.
Deshalb lernen Erwachsene noch leichter
Im Alter von 3 bis 6 Jahren zeigen Kinder schon deutlich Interessensvorlieben. Dabei werden manche Hirnregionen intensiver beansprucht als andere. Die stark genutzten Nervenbahnen (Verbindungen) werden gestärkt, andere verkümmern. Zum anderen bildet das kindliche Gehirn beim Lernen neue Synapsen aus. Die sogenannte „Neuroplastizität“ des Kindes (die Fähigkeit des Gehirns, Verschaltungs-Muster sowohl durch Selektion als auch durch die Neuentstehung von Synapsen zu bilden) ist in jungen Jahren besonders hoch, bleibt aber das gesamte Leben lang erhalten. So entsteht ein Netz, das bei jedem Menschen individuell anders gestrickt ist.
Das Gehirn von Erwachsenen ist ganz gleich aufgebaut, wie das eines Kindes: Es besteht aus Nervenzellen und Verbindungen. Der Unterschied besteht darin, dass Erwachsene bereits Millionen von Verbindungen aufgebaut haben. Dieses vorhandene Netz ist für das weitere Lernen sehr sinnvoll, denn wir können neue Informationen an das bestehende Informationsnetz anhängen. Verbindungen aufzubauen fällt uns leichter – wir können vergleichen, bewerten, Zusammenhänge herstellen und Erfahrungen verknüpfen.
Nehmen wir als Beispiel das Sprachenlernen:
Wir kennen bereits eine oder mehrere Sprachen.
Erinnern Sie sich nochmal an das Neuronennetzwerk in unserem Gehirn: Wir „hängen“ alle neuen Informationen an bereits bestehende an. Wenn wir nun eine neue Sprache lernen, vergleichen wir diese immer wieder mit unserer Muttersprache (und anderen bekannten Sprachen). Dadurch kann unser Gehirn bestehendes Wissen erweitern, Regeln ableiten und neue Informationen hinzufügen. Das Sprachenlernen wird immer einfacher, je mehr Fremdsprachen wir beherrschen.
Wir kennen die Regeln (Grammatik) unserer Muttersprache in und auswendig.
Ohne es erklären zu können, benutzen wir die richtige Zeitform, die passenden Vokabeln und die korrekte Satzstellung. Dieses Wissen um die Grundstruktur unserer Sprache und das sogenannte „Gefühl“ für sie können wir nutzen, um weitere Sprachen zu lernen – auch ohne Regeln auswendig lernen zu müssen.
Wir kennen verschiedene Laute.
Als Kleinkind müssen wir jeden Laut und jedes Geräusch erst kennenlernen und danach auch noch selbst produzieren lernen. Das Kennenlernen beginnt bereits im Mutterleib. Menschen können 200 Laute erkennen und nutzen, denn so ist unser Gehirn programmiert. Jede Sprache nutzt von diesen Lauten aber nur einen Bruchteil. Im Deutschen dürften es etwa 40 sein. Die Sensibilität des Menschen für die Laute der Muttersprache ist schon sehr früh zu beobachten: Schon wenige Tage alte Babys reagieren auf die Muttersprache anders als auf eine Fremdsprache. In den ersten Lebensjahren geht die Sensibilität für Laute, die wir nicht hören, verloren. Um sie später dennoch unterscheiden und reproduzieren zu können, müssen wir sie sehr oft hören. Dadurch werden Nervenbahnen im Gehirn angelegt, die für das Sprechen benötigt werden.
Wir können lesen und schreiben.
Merken Sie sich die Einkaufsliste auch besser, wenn Sie sie aufschreiben? Im Gegensatz zu Kleinkindern bleibt uns nicht nur das Zuhören, sondern wir können uns auch der Schrift bedienen. Dadurch lernen wir schneller und können gleichzeitig zum Verstehen und Sprechen auch Schreiben und Lesen lernen.
Wir wissen wie man lernt.
Ob bewusst oder unbewusst: Wir haben als Teenager oder Erwachsener schon sehr viel gelernt. Unser Gehirn ist also auf Neues eingestellt und weiß, was es mit neuen Informationen zu tun hat. Übung macht bekanntlich den Meister.
Kinderleicht lernen ist kein Mythos: Erinnern Sie sich an die Funktionen des menschlichen Gehirns und Ihnen wird das Lernen um ein Vielfaches leichter fallen. Seien Sie dabei mutig und probieren Sie Alternativen zu herkömmlichen Lernmethoden, die wir aus der Schule kennen, aus!